Kulturschock?

Oesterreich und Ecuador - 10.000 Kilometer voneinander entfernt, zwei verschiedene Kontinente, zwei verschiedene Sprachen. Alles anders? Alles neu fuer mich? Nein. Auch hier wird Luft geatmet und man ernaehrt sich mit fester und fluessiger Nahrung. Allerdings sind die Kulturunterschiede nach 16 Tagen doch deutlich erkennbar. Diese aufzuzaehlen, waere jetzt aber sinnlos, da man sie doch selbst erfahren muss, um sie zu verstehen.

 

Von Kulturschock kann ich hier nicht sprechen. Ich fuehle mich schon sehr wohl in diesem Land, was nicht nur mit der wunderschoenen Natur, sondern auch mit der Offenheit der Bevoelkerung gegenueber Auslaendern zusammenhaengt. Jedoch gibt es Momente, wo man sich in Zeiten der 50er, 60er oder 70er Jahre in Oesterreich, besser gesagt, in die Erzaehlungen der Eltern und Grosseltern zurueckversetzt fuehlt..

Ein Beispiel: Der 11-Jaehrige Enrique, eines "unserer" Kinder, kommt aus aermsten Verhaeltnissen und hatte vermutlich nicht die schoenste Kindheit. Dem noch nicht genug, hat er eine offensichtliche Lern- und Konzentrationsschwaeche und driftet immer wieder in seine Gedankenwelt ab. Eines Tages kommt er mit bitterlichen Traenen zu mir. "Que pasa?", frage ich nach, was ihn denn bedruecke. Er beginnt zu sprechen, allerdings so leise und verzweifelt, dass ich ihn kaum verstehe. Gabi, auch ein Kind aus unserem Projekt, erzaehlt, er sei von seiner Lehrerin mit einem Stockschlag geschlagen worden, weil er andauernd schlechte Noten schreibe und nicht mit dem Tempo in der Schule mitkomme. Gemeinsam mit den anderen Volos versuche ich ihn zu troesten und ihn zum Fussball spielen zu bringen, um ihn zunaechst auf andere Gedanken zu bringen. Eine Frechheit, denke ich mir, dass so etwas heutzutage noch passieren darf. Umso verblueffter bin ich, als beim Abendessen eine Madre, nachdem sie von der Geschichte erfaehrt und auch seine Traenen im Gesicht sieht, mit wuetender Stimme auf ihn einrede, dass er doch endlich seine Hausuebungen ordentlich machen solle, und ihn damit noch mehr in Verzweiflung bringt. Ist das wirklich die Schule des grossen Jugendheiligen Givoanni Don Boscos, dessen Namen sich dieses Projekt bedient?

 

Das Traurige an der Geschichte ist, dass uns als oesterreichischen Volontaeren hier quasi die Haende gebunden sind. An den Schulen Ecuadors (und wahrscheinlich generell in der Kindererziehung) ist es auch heutzutage noch ueblich, dass Kinder geschlagen werden, wenn sie schlechte Leistungen erbringen. Man geht kaum individuell auf die Kinder ein und oft wird der Hintergrund voellig ignoriert. Hole ich zu weit aus, wenn ich sage, dass dies ein weiterer Ursprung fuer eine Reihe an schwer erziehbaren Kindern ist? Mich wundert es kaum noch, wenn die Kinder hier immer wieder aufeinander losgehen, denn sie haben es wohl nicht anders gelernt. Konflikte wurden in ihrer Vergangenheit immer wieder mit Gewalt geloest. Und sie sollen es nun anders machen? Hier liegt aber unsere grosse Chance, zumindest ein bisschen an dieser Bestrafungskultur zu ruetteln. Wir kommen aus einer Welt, wo auch viel Gewalt herrscht, allerdings haben wir doch gelernt, Konflikte anders zu loesen, und koennen den Kindern unsere Art und Weise von Konsequenzen mitgeben. Ich bin mir sicher, dass das Bewusstsein fuer sinnvolle Konsequenzen auch hier Einzug halten wird, allerdings koennen wir im Moment wahrscheinlich nur fuer ein paar Tropfen auf dem heissen Stein sorgen. Aber darum geht es ja - die Welt um ein Stueck in die richtige Richtung zu bringen. Die Welt retten koennen wir nur alle 7 Milliarden Menschen zusammen.

 

PS: Ich moechte abschliessend noch klarstellen, dass ich auf keinen Fall die Fundacion Don Bosco kritisieren moechte, die unbestritten eine grossartige Arbeit in der Region leistet. Viele Kinder, die in ihren familiaeren Verhaeltnissen quasi ohne Chance auf Bildung und Entfaltung aufwachsen, bekommen in der Fundacion alle Mittel zur Verfuegung, um sich entfalten zu koennen. Meine Kritik gilt einzig und allein der ecuadorianischen Bestrafungskultur, die von der Bevoelkerung mitgetragen wurde, weil es niemand anders gelernt hat. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich das irgendwann aendern wird, und wir, wie schon gesagt, an dieser Veraenderung teilhaben koennen, ohne gleich das ganze System umzuwerfen.

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Kommentare: 5
  • #1

    Papa (Samstag, 22 September 2012 07:20)

    Hallo Mani
    Danke für deinen Eintrag, ist schon ziemlich schlimm dass die Kinder geschlagen werden, es ist allerdings bei uns ja auch noch nicht lange aus wo das in unseren Schulen die Regel war, und in den Familien bei uns ?????
    Können wir oder dürfen wir die Kinder von hier aus unterstützen, ich meine nicht finanziell sondern mit kleinen Geschenken?

    Alles Gute

  • #2

    Oskar (Sonntag, 23 September 2012 08:34)

    Hallo Mani
    Wie du sagst, es ist eine Frechheit und nicht gerecht wenn Kinder körperlich Bestraft werden. Auch der Tropfen bringt dem Stein schon eine Abkühlung. Darum sollte man bei solchen Ungerechtigkeiten immer daran denken seiner eigenen Überzeugung treu zu bleiben und den Anderen den richtigen Umgang mit den Kindern vorzuleben und vor allem den Kindern vor Ort zu zeigen, dass es auch andere Wege gibt um mit Konflikten umzugehen.
    Also nicht aufgeben und immer infrage stellen!!
    Das mit der Unterstützung würde ich auch gerne wissen.
    lg
    Oskar

  • #3

    Matthias (Sonntag, 23 September 2012 18:48)

    Bei uns hat es auch 1-2 Generationen gedauert. Wichtig ist, dass daran gearbeitet wird diese Dinge zu verändern.

    Schreib weiter so toll, ich freue mich immer wieder aufs neue von deinen Erlebnissen in Ecuador zu lesen.

  • #4

    Mani (Mittwoch, 26 September 2012 20:14)

    Danke fuer eure Eintraege!

    Wenn es um kleine Geschenke geht, sprecht dies am besten mit mir per E-Mail ab. Kommt immer darauf an, was es ist, und das Wichtigste ist, dass es gerecht auf die Kinder verteilt wird.

    Meine E-Mail-Adresse: mani-mayr@gmx.at

  • #5

    Michi (Donnerstag, 27 September 2012 23:53)

    Lieber Manuel!

    Toller Blog - Eintrag! Ich kann mich in eure Situation hineinversetzen!
    Wir wissen ja gewissermaßen, wovon du redest!
    Sollte es weitere Schwierigkeiten mit dieesem Thema geben, meldet euch ruhig bei uns, vielleicht können wir euch ja ein wenig helfen :)
    Ich hoffe ihr seid inzwischen schon gut eingearbeitet und es scheint ja soweit gut zu gehen - das freut mich :)

    Liebe Grüße, Michi :)